Alle paar Monate taucht jemand auf und beschwert sich darüber, wie schrecklich anstrengend dieses Internet und seine Beinhalteten sind. Dann folgt eine soziale Entschlackungskur und spätestens nach drei Wochen ist alles wie gehabt. Das heißt, es ändert sich eigentlich nie etwas. Meine These dazu ist seit längerem, dass der strukturelle Aufbau der sozialen Netzwerke, die zu unseren Hauptkommunikationsmitteln geworden sind, schwer ermöglicht anders zu handeln. In ihnen zählt allein der Effekt. Knallige Überschriften und starke Meinungen sind die Währung, mit der wir uns gegenseitig aushandeln. Da Alternativen nicht in Sicht sind, hängt „man“ in der Schleife des Faktischen fest.
Es ist aber gar nicht so sehr das persönliche Erlebnis, was mich stört. Es ist vielmehr die Veränderung des Informationsverhaltens. In diesem Blog habe ich mich in den letzten Monaten immer wieder mit dem Thema Informationskrieg beschäftigt. Auf Twitter dazu etliche Studien und Hinweise verteilt sowie einen ausführlichen Podcast dazu in die Welt gesetzt. Mittlerweile gibt es mehrere explizite Vorfälle zu dem Thema in Deutschland, die jedoch nicht zu einem merklichen Umdenken führten. Was dabei etwas untergegangen ist, ist die Frage, warum unsere Gesellschaft dafür überhaupt so anfällig ist.
Selbstbeschränkungen
In Deutschland geht es immer nur um Deutschland. Das daraus folgende Maßregeln der Welt sei an dieser Stelle außen vorgelassen. Es ist nur so, dass diese Gesellschaft sich in einem steten Status der Überraschung befindet. Die Krise in Griechenland kam überraschend. Der Krieg in der Ukraine, war eine Überraschung. Die Modernisierung der Bundeswehr, damit sie im Ausland überhaupt Einsatzfähig bleibt, ist eine Überraschung. Dass Russland Propaganda bei Deutsch-Russen betreibt, ist eine Überraschung.
Man kann nur dann nicht überrascht werden, wenn man sich mit der Welt beschäftigt. Es wäre eine Aufgabe der Medien, sich dieser Welt zu widmen. Diese haben jedoch mit dem Aufkommen des Internets beschlossen ihre Ausrichtung zu ändern. Sie ordnen und filtern nicht mehr das Weltgeschehen um es aufzubereiten, sondern fragen sich, was das Publikum sehen oder lesen möchte. Es möchte Katzenbilder und ein wenig gestreichelt werden.
Die zielgerichtete Information führt jedoch nicht zu mehr Publikum. Sie schränkt das potenzielle Publikum zunächst ein und bedient dann ausschließlich dessen vermeintliches Gefallen. Einst wusste man dies in den Chefredaktionen, als dort noch Journalisten und nicht Medienmanager saßen. Diese wollten ihre Leser „überraschen“. Also ihnen Dinge aufzeigen, die sie so nicht erwartet haben. Nach denen sie gar nicht trachteten und dadurch wurde Medienkonsum auch zu einer Entdeckungsreise. Das jetzige Herangehen per Messung führt weg vom Entdecken, es klammert die Welt explizit aus und konzentriert sich auf den analysierten Wir-Körper unserer Gesellschaft.
Die Krise des Journalismus ist vor allem eine falsche Annahme.
Unterhaltung
Obiges wird irgendwann durch den Markt geregelt. Ein wesentlich größeres Problem ist der Hang zur Unterhaltung.
Schaut man sich an, was „aus dem Internet heraus“ an erfolgreichen Medienprojekten kommt, dann haben diese zu einem überwiegenden Teil das Merkmal „Abgrenzung vom Journalismus“ in Form von Medienkritik und Belustigung über ein Thema. Inhaltlich kommt dabei meist wenig zustande, aber hier vereinen sich die Mechanismen der sozialen Netzwerke mit den Medienformaten und simulieren eine Erkenntnis. Meist geht es um das Versagen von Personen oder Institutionen. Es ist eine Journalismussimulation, die man mit etwas guten Willen auch als Boulevard abtun kann.
Doch die Unterhaltung hat sich auch im „herkömmlichen Journalismus“ breit gemacht. Ausgehend von den Samstags- und Sonntagszeitungen, haben sich in den letzten Monaten die „longreads“ etabliert. Diese sind nicht zu verwechseln mit Essays, die als Versuch danach strebten eine denkende Tiefe zu erreichen. Longreads konzentrieren sich auf ihre eigene Länge, was oftmals durch sie füllende Absätze erreicht wird, die bereits Gesagtes wiederholen. Und sie erzählen meiste eine oder mehrere Geschichten. Das Problem mit diesen Geschichten ist, dass sie auf „wahren Tatsachen“ beruhen, so aber zu einer Art Märchen werden, das zudem auch noch glatt gebügelt wird. Es muss ja in sich geschlossen sein. Das Erleben der Welt, wenn es denn mal um die Welt geht, wird somit zu einer Geschichte, die niemanden weiter bekümmern muss.
Das große Problem
Diese Entwicklung zu verfolgen ist erschöpfend. In den letzten zwei Jahren hat sich die Welt außerhalb Deutschlands komplett verändert. Dabei brauchen wir uns noch nicht einmal um Syrien zu kümmern oder um ISIS. Es reicht an die Ostgrenze der EU zu schauen. Dort wird aufgerüstet. Die Sicherheitslage ist unklar. Zwar kann kein Großer Krieg erwartet werden, doch finden kleinere Gefechte überall statt. Manchmal im Geheimen, per „Cyberwar und Informationskrieg“ oder ganz offen, wie in der Ostukraine. Es stehen entsprechend große Entscheidungen an, die Konsequenzen für die innere Freiheit Deutschlands haben werden. Und das, was wir hierzulande gerade am Thema Flüchtlinge versuchen auszuhandeln, wird, wenn wir mal wieder überrascht sind, zu gänzlich neuen Fragen führen. Wer wir sind und was wir wollen, kann nur durch ein Verstehen des eigenen Standpunktes in dieser Welt definiert werden.