Spricht man heute über das Jahr 2008, geht es meist um die Finanzkrise. Allen ist sie in Erinnerung geblieben. Schemenhafter wird es, wenn man fragt was in diesem Jahr noch passiert ist. Der Krieg zwischen Georgien und Russland taucht dann nur noch vereinzelt auf. Richtig still wird es, wenn zwei weitere am Krieg beteiligte Regionen, Südossetien und Abchasien, namentlich in den Raum fallen.
Ähnlich unbekannt wie die Republik Srpska oder vor kurzem noch die Volksrepublik Donezk, sind diese kleine Gebilde mittlerweile zu einem validen Mittel geostrategischer Überlegungen geworden. Es ist Russland, dass mit seiner Förderung und Finanzierung des Separatismus in diesen Gebieten seine Vormachterstellung und seinen Einfluss zu erhalten versucht.
Als Kopf dieses strategisch nicht unklugen Vorgehens kann Vladimir Putin gelten. Ein Mann, der in vielen Köpfen für Gesamtrussland steht und über den es ausreichend viel biographisches und analytisches zu lesen gibt. Allerdings, soviel lehrt auch die Erfahrung, sind nicht alle die da schreiben vom Kreml ganz unbefleckt. Sei es, dass da Lehrgänge auf kleinen Inseln besetzt werden, die Meinungen querfinanzieren, oder eine generelle Nähe herrscht, die zu Freundschaftsdiensten führt. Mein Freund, so das russische Denken, denkt wie ich und ist dadurch immer auch ein Experte. Kein Wunder also, dass Geld ebenso fluide ist wie die Wege der Meinungsbildung.
Aus all diesen Gründen war ich am Wägen, wer hier in diesem Blog eine Plattform bekommt und wer nicht. Wessen Werk über Putin man besprechen könnte. Welches der Verankerung einer weitergehenden Betrachtung taugt. Entschieden habe ich mich für Katja Gloger und „Putins Welt“. Dazwischen kam Hubert Seipel als Negativbeispiel.
Angela Merkel wird der Satz zugeschrieben, dass Putin in einer anderen Welt lebe. Kolportiert wurde dieser Satz aus Washington, nachdem Merkel mit Barack Obama telefonierte. Sie stritt diesen Satz bisher nicht ab, erklärte ihn gar in der FAZ. Für all jene, die nicht an den Ränkespielen der Politik dieser Welt teilnehmen, ist es im Regelfall schwierig, solche Aussagen einzuschätzen. Doch in diesem Fall steht dem nicht viel im Wege. Wer diese Welt ergründen möchte, muss sich nur die deutschsprachigen Angebote russischer Medien betrachten. Es offenbart sich eine gänzlich andere Sichtweise auf die Realität. Das Bemerkenswerte an dieser alternativen Realität ist, dass sie sich explizit auch als solche sieht. Ein alternatives Erklärungsangebot an die Welt. Offen für jeden, der es hören will. Gespickt mit erstaunlich vielen Rechtsradikalen.
Aus dieser Perspektive heraus ist der Titel des Buches clever gewählt, denn es stellt sich nicht nur die Frage, in welcher Welt Putin denn lebt, sondern ob er auch in der Welt lebt, die in den russischen Staatsmedien gezeichnet wird. Die traurige Wahrheit ist, dass auch Katja Gloger dieses Geheimnis nicht lüften kann. Sie widersteht aber der Versuchung, der Beobachter gerne anheimfallen, ob des publizierten und argumentativen Irrsinns einen Irren zu vermuten. Dem Buch liegt somit die Annahme eines rationalen Protagonisten zu Grunde, der sich der ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu bedienen weiß.
Dieser rationale Protagonist durchläuft in seinem Leben als Präsident verschiedene Phasen, die ihn zunächst sehr nah zu den westlichen Partnern bringen. Ohne große Resonanz dabei zu erzeugen, hält diese Nähe nicht lange. Sie wird zu einer Enttäuschung, die im Abwenden von diesem Westen endet. Das Bildnis ist auch ohne Buch nachvollziehbar und zeichnet sich, wer es aktuell mag, in dem Interview, das die BILD mit dem russischen Präsidenten führte. Das heißt, er selbst kommuniziert es immer wieder und betont dabei, seine immer guten Absichten. Putin kommt zu Wort.
Die Kunst von Katja Gloger ist, innerhalb dieses Bildnisses die Bruchstellen aufzuzeigen, ihre Dynamik zu beschreiben und sie dem realen Handeln gegenüberzustellen. Dies ist besonders im zweiten Teil des Buches spürbar, wenn aus der Beschreibung von Putins Werdegang sein Verhalten während des nicht erklärten Krieges mit der Ukraine besprochen wird. Man ist dann plötzlich ganz nah an der oben gezeichneten Frage dran und schwankt als Leser hin und her. Zumindest dann, wenn man ein nicht gefestigtes Meinungsbild hat.
Der Aspekt des Schwankens durchzieht das ganze Buch. Doch wechselt dieses Schwanken irgendwann von Putin, der sich verfestigt, über zur Autorin, die immer weniger weiter weiß. Denn man muss sich irgendwann fragen, ob es da wirklich nur um reinen Machterhalt geht, oder ob die Probleme tiefer liegen. Natürlich liegen sie tiefer, aber um Aspekte wie Korruption und Aufrechterhaltung der Macht aufgrund von eigener Schuld zu behandeln, bräuchte man ausschweifende Beweise. Die liegen kaum vor. Es gibt Aussagen, es existieren Berichte und Vermutungen. Man weiß um das großkotzige Auftreten diverser mafiöser Gestalten gegenüber den Behörden. Doch ist Hörensagen eher selten gerichtsfest und so spart sich Katja Gloger diesen Part weitestgehend aus.
Das ist schade, aber konsequent bei dem Anspruch, sich nicht in die Ecke der Verschwörungstheoretiker zu stellen. Vor allem aber zeigt es etwas sehr Erstaunliches auf: das System Putin ist kein Gutes. Es gefährdet mit seinem außenpolitischen Handeln auch die Integrität Deutschlands. Nicht weil uns Putin seine grünen Männchen aus Mordor schickt, sondern weil er hierzulande Lobbying betreiben lässt.
In diesem Blog läuft das Thema immer wieder mal als Infokrieg und kommt in Putins Welt leider viel zu kurz. Es ist nur die Oberfläche, die da angekratzt wird. Gleichwohl wird das Problem sichtlich.
„Putins Welt“, meine Damen und Herren. Am Ende steht die Frage, was man dieser russischen Verfestigung entgegensetzen könnte. In sehr moderater Weise, bleibt das Schwanken von Katja Gloger erhalten. Da ist sie wohl sehr nah bei Merkel und ebenso weit weg von einer Lösung.
(Ich habe vom Verlag ein Rezensionsexemplar erhalten.)