Momentan kann man sehr viel darüber lesen, was die Türkei militärisch kann, was sie militärisch nicht kann. Wie überlegen die russische Technik der türkischen ist, oder wie sehr die USA die Türkei hängen lassen. In diesem Blog haben wir das Risiko einer türkischen Bodenoffensive seit längerem als vergleichsweise hoch eingeschätzt. Dieser Einordnung lag zu Grunde, dass fast alle Analysen Erdogan in dem Sinne nicht ernst genommen haben, dass er autark, außerhalb der NATO, handelt.
Wirft man einen Blick auf den US-Diskurs, dann taucht in diesem sehr häufig der Hinweis auf, dass die kurdische PYD sehr effektiv gegen ISIS ist. Deswegen wollen die USA nicht auf sie verzichten und unterstützen sie. Dabei ignorierte man in den USA, dass die Kurden einen Deal mit Assad hatten, demnach er sich aus ihren Gebiet zurückzog und man sich dafür nicht gegenseitig angreift. Diese US-Unterstützung, in Kombination mit dem Assad-Deal, führte dazu, dass die PYD Bewegungsfreiheit, einen Gegner weniger, hatte. Dies mag ihre Effektivität gesteigert haben, sorgte aber vor allem in der Türkei für Besorgnis, denn die Landgewinne der Kurden liefen konträr zu den türkischen Ambitionen, eine autonome Kurdenregion an der syrischen Grenze zu verhindern. Amnesty legte derweil zwei Recherchen vor, demnach die Kurden in Syrien wie auch im Irak mit ethnischen Säuberungen ihre Gebiete sichern und/oder erweitern. Hinzu kommt das Autonomiestreben der irakischen Kurden sowie die Unterstützung der PYD durch Russland, nachdem die Türkei eine russische SU-24 abgeschossen hat, die ihren Luftraum verletzte.
Dadurch entstand in der Türkei der Eindruck, dass die USA indirekt gegen sie agiert. Einen sehr ähnlichen Eindruck hat man seit der Präsidentschaft Obamas auch in Saudi Arabien. Dort sitzt der Schreck des Atomabkommens mit dem Iran sehr tief. Eine unmittelbare Folge des Abkommens ist, dass der Iran seine Öl-Förderquote steigern kann, was angesichts der momentan niedrigen Öl-Preise als problematisch angesehen wird. Aber auch die Wiedereinbindung des Irans in den globalen Handel bereitet Saudi Arabien Probleme, denn ein Wirtschaftsaufschwung bedeutet auch immer die erhöhte Fähigkeit zur Aufrüstung und Finanzierung der Proxykriege (bspw. im Jemen und Syrien).
Die Problematik, die dem Iran-Deal inneliegt, befindet sich in der Machtstruktur des Irans. Trotz aller Öffnung gegenüber der Welt, haben die Hardliner im Inneren das Sagen und zurren ihre Macht gerade fest. Außenpolitisch ist von der Seite mit keiner Entspannung der Lage zu rechnen. Zumal in Syrien mittlerweile auch Russland auf Seiten des Irans eingegriffen hat. Nachdem was wir bisher wissen, recht kurzfristig vor dem Fall Assads. Das heißt die Strategie der USA gegenüber Assad und dem IS war nicht gänzlich verkehrt, hatte aber scheinbar nicht Russland berücksichtigt, sondern das Ziel sich mit dem Iran zu einigen, nachdem man sich bereits auf den Atom-Deal einigen konnte.
Seitdem die US-Strategie durch das Handeln Russlands gescheitert ist, weiß niemand mehr so recht, wie es von dieser Seite aus weitergeht. Derweil agieren aber Russland und der Iran. Zum einen beteiligt man sich an dem Versuch Friedensgespräche entstehen zu lassen, bei dem alle Beteiligten, exklusive Al-Kaida und ISIS, am Tisch sitzen. Zum anderen aber gleicht der Iran über die Hisbollah die fehlenden Bodentruppen von Assad aus. Zugleich unterstützt Russland diese Bodentruppen mit Bombardements. Ihre Strategie sieht vor, dass man die einzunehmenden Städte erst einkesselt, dann sturmreif bombt und zugleich aushungert. Da man mit am Verhandlungstisch sitzt, können die Friedensgespräche auch zeitlich so gesteuert werden, dass die eigenen militärischen Ziele erst erreicht werden und dann Frieden geschlossen wird. Die Friedensverhandlungen sind insofern wichtig, als dass der Iran wie auch Russland recht viel investieren müssten, um die dann eroberten Gebiete zu halten. Assad selbst fehlt die Mannstärke, er wird sich also auf die Kurden wie auch auf die Hisbollah stützen müssen. Der Frieden spart den Gewinner dann Geld, weswegen ihm aber auch eine gewisse Fragilität inne liegt.
Der große Kampf findet momentan in Aleppo statt. Setzen sich die um Assad versammelten Kräfte durch, haben die von den Saudis und Türken gestützten Rebellen ein Problem mit ihren Versorgungsrouten. Pikant an diesem Kampf ist, dass die kurdische PYD sich mittlerweile an der Belagerung beteiligt. Aber auch, dass über die Türkei Verstärkung für die Rebellen einrückt.
Im Gegenzug haben Saudi Arabien und die Türkei sich stärker aneinander gebunden. Es wurden saudische Kampfflugzeuge in die Türkei verlegt und die Türkei wie auch Saudi Arabien und deren Verbündete, erklärten, dass sie Bodentruppen im Kampf gegen ISIS nach Syrien schicken wollen. Niemand glaubt ernsthaft, dass es dabei nur um ISIS geht. In der Gesamtlage stellt sich die Situation allerdings so dar, dass wenn Russland und/oder der Iran auf die Türkei losgehen, sie zugleich auch Saudi Arabien angreifen müssten. Dieser Schachzug erfolgte nach einer ausgiebigen Diskussion in den dortigen Medien, was die Türkei den Russen überhaupt entgegenzusetzen hätte, außer ihrer NATO-Mitgliedschaft. Man musste reagieren und darin liegt eine nicht zu vernachlässigende Aussage. Es war kein pro-aktives Handeln.
Die Lage verschärft sich täglich auch dadurch, dass Russland mittlerweile Militärgerät an die Hisbollah geliefert haben soll, welches sie wiederum Israel versprachen nicht an diese zu geben. Kurz nach dem Aufkommen dieser Informationen schoss Israel ein paar Raketen gen Damaskus, was wiederum seitens Hisbollah TV dementiert wurde.
Das Konzert der Mächte in Syrien glänzt vor allem durch die Abwesenheit der USA, die scheinbar nur noch eine Vermittlungsposition einnehmen wollen und dadurch gegen ihre eigenen Verbündeten auf supranationaler Ebene arbeiten. Verbündete, die sich bereits durch vorherige US-Aktionen im Stich gelassen und somit bedroht sehen. Sie schließen sich nun zusammen und die größte Gefahr ist die Möglichkeit eines Präventivkrieges gegen den Iran, der mit Russland einen scheinbar potenten und sehr willigen Militärpartner gefunden hat.
Man kann von Erdogan und den Saudis halten was man will, aber ein Großteil ihres Agierens ist eine Reaktion auf die veränderte Sicherheitslage, die durch die Zurückhaltung seitens Washington entstanden ist. Dabei geht es gar nicht mehr um Syrien, sondern um (gefühlte) Bedrohungen und Grenzsicherungen. Klassische Kriegsgründe für Staaten, weshalb die Zurückhaltung in den USA verwundern muss. Man scheint dort aus Angst vor dem Krieg nicht mehr gegen den Krieg zu arbeiten.
Das führt zu einem sonderbaren Fazit. Die einzige Partei, die in Syrien irrational handelt, sind die USA.
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