Bernd Ulrich hat in der Zeit einen sehr lesenswerten Text verfasst, der zumindest im Anfang das zusammenklaubt, was sich gerade in meinem Kopf als Oberthema zusammenformt. Das soll Anlass genug sein, an dieser Stelle ein paar Gedanken zusammenzuschreiben.
In dieser Gesellschaft verschiebt sich seit der Wende etwas ganz gewaltig. Es ist ein klarer Trend auszumachen, der aber eigenlich niemanden überraschen kann. Zum einen ist die Welt, da es nicht mehr nur zwei Blöcke gibt, komplexer geworden und zugleich polarisierter. Denn überall da, wo Komplexität nicht mehr greifbar ist, wird sie auf einen Kern reduziert und auf dessen Basis ausgefochten.
Zugleich haben wir aber auch eine wirtschaftlich und gesellschaftlich disruptive Umgebung. Unsere Art zu kommunizieren verändert sich und damit die Weltwahrnehmung. Dieser Strukturwandel greift entsprechend tief in die Wirtschaft ein, während die neuen Spielregeln und Gewohnheiten erst noch ausgehandelt werden. Eine Folge dessen ist der Informationskrieg. Eine andere der Rückwurf unserer gesellschaftlichen Fragestellungen auf das 17. und 18. Jahrhundert, in dem vor allem die Frage nach der Freiheit verhandelt und die Aufklärung betrieben wurde.
Das ist innergesellschaftlich.
„Serinus canaria 3“ von Haplochromis – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.
Auf der zwischenstaatlichen Ebene existiert derweil ein Gemisch aus supranationalen Institutionen, nationalstaatlichen Interessen und diversen Gruppierungen, die außerhalb des bestehenden Regelwerkes operieren. Die Fronten sind dabei nicht so klar, wie wir das gerne hätten. Ganze Staaten ändern ihr Geschäftsmodell. Es wird Kapitalismus mit Sozialismus in einer Art vermischt, wie es auch die kühneren Geister der Vergangenheit nicht zu ahnen vermochten. Gleichwohl ist die Betrachtung dieser Konflikte in der momentanen Öffentlichkeit bis heute in dem gewohnten Freund-/Feind-Schema vergangener Tage.
Das heißt es ist ohnehin alles fragil und dann kommen die Probleme oben drauf. Die Finanzkrise als Beispiel, wird dabei nur selten als Ende des Wachstums wahrgenommen. Dabei ist sie genau das. Gesättigte Märkte, die durch Finanztransaktionen im Wachstum gehalten wurden, fordern nun ihren Preis. Es wird versucht, diesen Preis die Notenbanken zahlen zu lassen. Das ist vom System her alles legitim und nicht weiter verwerflich, doch ändert sich mit dieser Betrachtung auch sehr schnell die Frage nach der Lösung.
Das ist auch der Moment, in dem Ulrich widersprochen werden muss. Leider ist es nicht so, dass das Volk von all dem nichts mitbekommt, weil es so zufrieden ist. Es spürt sehr genau die Bewegung und dass die Politik nicht mit offenen Karten spielt. Dies ist das Grundproblem, denn das Verschweigen ist eine Kompetenzanmaßung und ein Ausklammern des Volkes vom demokratischen Diskurs. Genau daran entzündet sich doch immer wieder der Unmut, was man daran sehen kann, dass bei allen Protesten, sei es Piratenpartei, der kurzzeitige Schub der Grünen oder Pegida, immer auch die Forderung nach mehr Mitbestimmung hochkocht. Der Unmut sucht sich mittlerweile Proxys um die Refraktärzeit zu umgehen.
Die Problemlage ist eine andere, aber ich vermute, dass Ulrich vor allem für Politiker geschrieben hat und sein Text in diesem Sinne als Aufforderung zu verstehen ist. Und dennoch…
Es gibt bei der Zusammenführung dieser Themen ein Problem. Im akademischen existieren zwar Ansätze, die sind aber Personenbezogen. Das heißt, wer kann der denkt. Anders sieht es in der Öffentlichkeit aus. Diese spendiert momentan keine Denkräume, die sich mit solchen Themen befassen könnten. Die das Einzelne betrachten aber auch das Große zusammenführen. Keine Redaktion dieser Republik hat eine themenbezogene Plattform, auf der sie ihre festen und freien Mitarbeiter einfach mal an den großen Themen denken lässt. Es existieren keine Blogs, die sich ausschliesslich den großen Fragen widmen. Nur allzuoft widmet man sich dem Schöngeistigen und belässt es am Ende eben doch nur bei der einen großen Reportage, die kurzzeitig wirkt aber keinen steten Fluss an Informationen liefert.
Dieses Defizit wiederum führt zum allgemeinen Schweigen. Dem Denken und den Diskursen fehlt schlichtweg der Raum. Am Leichtesten sind dabei noch Politiker zu verstehen, die öffentlich gar nicht erst denken dürfen, sondern alles wissen müssen. Zumindest werden sie nur so dargestellt und diese Darstellung dann medial noch besonders zugespitzt.
Ulrich scheint um die Defizite in den Medien zu wissen. Zumindest deutet er sie an und verteidigt sie dann sogleich. Aber wäre es nicht mal an der Zeit, genau da anzusetzen, wo man es könnte, statt einfach nur mal wieder was geschrieben zu haben?
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