Manchmal schreibt Kadda diese „Bäm!-Artikel“. Und wie der Zufall so will, passt das ganz gut zur Thematik „Identity Economics“ mit der ich mich gerade beschäftige.
Warum diese Richtung der ökonomischen Forschungen nicht sonderlich beliebt ist, lässt sich verkürzt darstellen. Es geht im Kern um die Annahme, dass wir alle nicht individuell sind. Darauf basierend wird eine Dekonstruktion des wirtschaftlich agierenden Menschen vorgenommen, in der versucht wird, Ineffizienzen mit Gruppenverhalten zu erklären.
Das ist in diesem Zusammenhang interessant, weil die Ineffizienzen persönliche Gewinne an Reputation mit sich bringen und dieser Zugewinn an Reputation ist dem vermeintlichen Individuum wichtiger als der wirtschaftliche Aspekt.
Das ist insofern nicht sonderlich verwunderlich, als dass wir alle soziale Wesen sind. So legen Studien bspw. nahe, dass wenn ich mir ein neues Auto kaufe, mein Nachbar sich zu 40 % innert des nächsten Jahres ebenfalls ein Auto kaufen wird. Nicht etwa, weil wir einen ähnlichen Autokaufzyklus haben, sondern weil er das soziale Gleichgewicht in der Nachbarschaft wahren möchte.
Die Quelle zu dieser Studie habe ich nun leider nicht mehr vorliegen, aber dass ein Auto zu 80 % auch für den Nachbarn gekauft wird.
Wir befinden uns also in einem komplexen Entscheidungsverhalten, bei dem das um uns herum maßgeblich ist. Werbung definiert dementsprechend Zielgruppen (Normgruppen) und versucht diesen ein Lebensgefühl zu vermitteln, welches sie durch ein Produkt ausleben können. Der größte mir bekannte Profiteur solch einer Strategie ist Apple.
Doch es müssen ja nicht immer nur Produkte sein, mit denen wir unser Lebensgefühl ausdrücken. Es können auch Verhaltensweisen sein. Mit diesen Grenzen wir uns ab, vor allem aber auch ein. Im Internet, mit dieser körperlosen Kommunikation, haben wir dazu nur die reine Macht der Worte, derer es bedarf, die zum vollumfänglichen Ausdruck eines Anliegens aber nicht ausreichen.
Die Stimme, die Tonlage, die Gesichtszügige und die Gestik eines gesamten Körpers samt Dress-Code dienten uns außerhalb des Internets als Orientierung bei der Kategorisierung einer Person. Dies fehlt nun alles, also sucht der Mensch sich Kompensationsmöglichkeiten. Der exzessive Gebrauch von Smilies. Aber auch Avatare, Schriftarten und die Tonlage des geschriebenen Wortes helfen. Den stärksten Anteil an der Kompensation dürfte aber die eigene Form der Sprache und des Gebarens sein.
Das fängt beim Unterschied zwischen Binnen-I oder dem * an und hört beim Einzelwort-Duktus eines Twitter-Nutzers auf. Die Triggerwarnung gehört ebenfalls dazu.
Es gibt im Gegenzug aber auch Gruppenübergreifende Verhaltensweisen. Dabei geht es weniger um die Ausdrucksweise einer Gruppe sondern um die Definition ihres Daseins. Es geht um Selbstversicherung. Die häufigste Form der Selbstversicherung ist im Internet die Eigendefinition als Opfer. Opfer wollen dabei weniger die Aufmerksamkeit von außen sondern vielmehr die Bindung Gleichgesinnter erreichen.
Da die Diskurse der Opfer meist nur innerhalb der eigenen Gruppe stattfinden und in der Kommunikation nach außen hin nur der Abgrenzung dienen, sind sie selbstreferenziell. Es sind vollkommen nutzlose Diskurse, die allein dadurch entstehen, dass das Internet die genutzte Plattform ist. Das Äquivalent zum Friseurbesuch, nur mit eingebautem Ping gegenüber dem vermeintlichen Feind.
Diese Pseudodiskurse simulieren eine Kompetenz und greifen damit in Debatten ein, ohne dass sie einen Anspruch auf Sinnhaftigkeit haben. Da solcherlei dann besonders laut vertreten wird, schädigen sie den ernsthaften Diskurs, der sich bemüht auszudifferenzieren.
Damit könnte man sagen, dass das Internet dem gesellschaftlichen Gesamtdiskurs schadet, denn es befördert das Laute und minimiert das Leise aber Ernsthafte.
„Für mehr Gegenrede“, war somit einer meiner wichtigeren Tweets, denn es „braucht einen Aufstand der Anständigen“ um die Diskurshoheit nicht mehr denen zu überlassen, die einfach nur laut und aggressiv sind.
Ich muss an dieser Stelle auch einen Gedanken korrigieren: Bisher habe ich mich immer sehr abfällig gegenüber diversen Internetphilosophen geäußert, deren Diskurse mir zu flach vorkamen, da sie mich zu sehr an den gesellschaftlichen Diskurs des 18. und 19. Jahrhunderts erinnerten. Das ist natürlich auch weiterhin so, nur dürfte sich auch das Internet, wenn man es als Gesellschaft denkt, ungefähr in diesem Zeitalter befinden. Sie sind da nur konsequent.
Immerhin, wir befinden uns nicht mehr im Mittelalter. Dahinter steckt aber auch die Erkenntnis, dass hier der Anspruch herrscht, alles neu zu verhandeln. Es gibt nichts, was unhinterfragt übernommen wird. Das kann und muss man respektieren, ich halte das für etwas Gutes.
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