Vor ein paar Tagen erlaubte ich es mir mal wieder, einen derjenigen Herren des Internets zu kritisieren, die etwas mehr Aufmerksamkeit genießen. Die Reaktionen darauf waren sonderbar. Kritik an der Kritik an einem Kritiker (Tilo Jung). Es scheint vollkommen ok zu sein, die USA, die Medien und Barack Obama als Manipulateure und Schuldige zu benennen, sobald aber Kritik an dieser einseitigen Kritik laut wird, ticken einige aus. Das Resultat war, dass es für einen Abend einen Twitteraccount gab, der sich nur “meinen Verfehlungen” widmete. Bei der FAZ hätte ich versagt, schreiben könne ich auch nicht und, da musste Tilo Jung in cc gesetzt werden, ich hätte mal gesagt, dass ich finde, dass Barack Obama nüchtern betrachtet einen ganz guten Job macht. Das stimmt natürlich. Hier, am Ende dieses “Vortrags” im Jahr des Herrn 2012, habe ich das gesagt.
Wenn mir jemand etwas vorwerfen möchte, taucht das immer wieder auf. Es wird dann nicht diskutiert, ob sich an meinen Ansichten in den letzten 3,5 Jahren vielleicht etwas verändert hat. Auch meine vielen kritischen Kommentare zur Überwachung durch die NSA werden dabei ignoriert. Bezeichnend finde ich aber vor allem, dass nie die Frage gestellt wird, ob sich seitdem etwas in der US-Außenpolitik verändert hat, die solch eine Ansicht, wie ich sie geäußert habe, vielleicht überholen könnte. In jedem Fall aber kann ich mit dieser Kritik nichts anfangen, da sie nie argumentiert, sondern nur zur Diskreditierung eingesetzt wird. Obama = US Präsident = Kriegstreiber = schlecht, ist mE keine Argumentation.
Warum ich 2012 meinte, dass Obama einen guten Job gemacht hat, erklärt sich auch unter dem Eindruck seines ersten Wahlkampfes. Er erzeugte einen riesigen Hype und konnte, aus meiner Sicht, eigentlich nur scheitern. Denn es war vollkommen klar, dass die geschürten Erwartungen nicht zu erfüllen waren. Vor allem die Verleihung des Friedensnobelpreises lastet dann auch bis heute auf seinen Schultern. Aber Obama hat in seiner ersten Amtszeit recht gut daran gearbeitet seine Versprechen umzusetzen. Die Regulierung der Wallstreet war nicht die Erfindung des Rades, aber es kamen einige sinnvolle Sachen dabei rum. Ähnlich erging es ihm mit der Gesundheitsreform und von der seinerzeit brachliegenden us-amerikanischen Wirtschaft, spricht heute ja auch kaum noch jemand. Diese erste Amtszeit Obamas war von vor allem durch innenpolitische Kämpfe gekennzeichnet. Er beförderte den Truppenabzug aus dem Irak und Afghanistan, hielt ein paar aufbauende Reden außenpolitischer Natur und scheiterte aus damaliger Sicht eigentlich nur an der Schließung Guantanamos. Dies dann aber auch konsequent bis heute.
Die Frage nach Obama war im Kontext des Vortrags sehr clever, da er zu dem damaligen Zeitpunkt ein Gegenbeweis für die These war, dass nach einem Hype erst einmal alles verbrannt ist und es niemanden interessiert. Gleichwohl ist der Job des Präsidenten der USA auch so angelegt, dass es schwierig ist, sich nicht dafür zu interessieren.
Wie dem auch sei, wir befinden uns mittlerweile im Jahr 2016 und was uns hier in Deutschland mittlerweile vor allem beschäftigt, ist die Frage danach, warum wir hierzulande so viele Flüchtlinge aufnehmen müssen. Wie wenig uns die Welt interessiert, zeigte sich in den letzten Tagen recht eindeutig. Man beschäftigte sich ausgiebig mit Köln und den Vorfällen dort, aber die Hungerkatastrophe in Madaya taugte lediglich zur Randnotiz. Das heißt nicht, dass nicht darüber berichtet wurde, sondern, dass es nicht groß behandelt wurde. In der gestrigen Tagesschau (7.01.16) fand sich dafür beispielsweise kein Platz. Die BBC, CNN oder Al Jazeera berichteten ausführlich. Madaya liegt in Syrien, es ist ein Krieg an dem wir teilnehmen. Dieser Krieg ist davon gekennzeichnet, dass in ihm Menschen als Waffen eingesetzt werden. Sie werden ausgehungert, man erpresst sich mit ihrem Leid Vorteile und das tut nicht nur Assad, sondern auch die von uns mitgestützte Opposition.
Darüber müssten wir längst diskutieren und uns als Gesellschaft fragen, woran wir uns beteiligen und welche Werte wir dabei vertreten. Stattdessen aber beruft man sich darauf, dass die USA schuld sind. Es ist ihr Krieg. Es ist Obamas Krieg und wir sind ja nur Vasallen und haben keine Macht über die Dinge. Den Standpunkt mag man haben, aber er ist politisch nicht mal mehr naiv, sondern eine komplette Realitätsverweigerung.

In den USA kann man sich diesen Luxus nicht leisten, denn das Land ist der Hegemon der Stunde. Zweifelsohne am Schwächeln, aber momentan die mächtigste Macht auf Erden. Obama ist angetreten die Dinge zu verändern. Dieses “change” wurde immer belächelt, ist aber auch als Abgrenzung zur Ära Busch zu sehen, dem er nachfolgte. Das vielleicht größte Problem ist, dass die Veränderung nicht nur ein Spruch war. Bis heute haben die USA unter Obama nur ein Management der geopolitischen Probleme betrieben und versucht, ohne direktes Eingreifen zu agieren. Wenn, dann beschränkt man sich auf Luftangriffe, wie es auch unsere französischen Freunde in Libyen nur zu gerne betrieben. Aber Bodentruppen waren nicht das Mittel der Wahl. Stattdessen hat die US-Regierung unter Obama ihren Kampf ebenso asymetrisch gestaltet, wie es die Terroristen taten. Drohnenangriffe, die gezielt Personen töten, ohne eigene Soldaten zu gefährden, war die Ersatzlösung. Damit das überhaupt funktionieren kann, wurde die Informationsüberwachung weltweit ausgedehnt. Zugleich wurden die jeweils hiesigen Kräfte, die man der eigenen Seite zuordnen konnte, mit Waffen und Ausbildung unterstützt.
Die Strategie ist klar. Statt eines Faktenschaffens durch außen, wurde versucht eine militärische Opposition aufzubauen, die nach dem Kampf auch in der Lage war die Sicherheit zu gewährleisten. Der Preis dafür ist die Zeit, die es dauert diese Kräfte sich entwickeln zu lassen. Auf diesem Wege, so die Annahme Obamas, könne eine dauerhaftere Stabilität in den Regionen geschaffen werden. Womit er nicht gerechnet hat, ist die Tiefe der Korruption, wie sie beispielhaft an der irakischen Geisterarmee zu sehen war. Streitkräfte, die nur auf dem Papier existierten, während sich korrupte Politiker die dazugehörigen Budgets einverleibten.
Die Realität ist, dass Krieg keine gute Lösung für irgendjemanden ist. Egal wie man handelt, es kostet einen Preis und dieser schlägt sich immer auch in Todesopfern nieder. Obama ist einer der wenigen Staatsmänner in der Geschichte, der versucht hab nicht hinzugehen, wenn Krieg ist. Tragisch ist, dass er damit zeigte, dass dies auch keine Lösung ist. Alte Verbündete wie Saudi Arabien fühlen sich dadurch von den USA nicht mehr geschützt und unterstützt. Auch in Europa mehren sich die Stimmen, demnach man Saudi Arabien fallen lassen soll. Nicht zuletzt deswegen rüstetet dieses Land auf und führt vermehrt Proxykriege. Die US-Entspannungspolitik gegenüber dem Iran macht das alles nicht besser. Man fühlt sich bedroht und eskaliert die Lage, ehe die vemeintlichen oder realen Gegner noch stärker werden. Denn eines ist bei all der Öl- und Öffnungseuphorie bezüglich des Irans auch klar. Je mehr Geld dieses Land hat, desto mehr wird es sich aufrüsten. Für Saudi Arabien heißt dies, dass der Gegner mit jeder Minute, die kein Krieg stattfindet, stärker wird. In diesem Denken und in dieser Annahme liegt die größte Gefahr für den mittleren Osten.
Diese Dinge sind kompliziert. Sie taugen nicht für Antworten, die sich an gut und böse orientieren, denn es gibt kein richtig oder falsch. Die Optionen sind alle nicht gut und Staaten denken anders als ihre Bürger. Wenn die USA es nicht mehr richten, lässt man es eben von den Chinesen und Russen richten. Vertreten diese unsere Werte besser? Oder fühlen wir uns dann nur besser, weil wir weniger damit zu tun haben?
Man findet die Antworten auf solche Fragen in Syrien und Afghanistan. Da wo die Russen ihre Bomben werfen, liegen nicht wenige Krankenhäuser. Nur ist es denen scheißegal und sie streiten ab, wenn eines dieser Krankenhäuser getroffen wurde. Das waren doch alles Terroristen. Bei den westlichen Streitkräften gibt es eine Aufklärung und Konsequenzen. So unbefriedigend wie diese am Fall Kunduz wirken, es passiert und Krankenhäuser werden nicht als legitimes Ziel betrachtet.
Es klingt vieles nicht gut, das man über Obama zu sagen hat. Er hat versucht aus der Logik des Krieges auszubrechen und damit sein Wort gehalten. Ob er damit so rundum gescheitert ist, wie es momentan aussieht, wissen wir in ein paar Jahren. Im Sinne des Versuchs und seiner Beharrlichkeit dabei, halte ich ihn für einen guten Präsidenten, der bei weitem nicht der Kriegstreiber ist, den vor allem Internetdeutsche in ihm sehen wollen. Diese Präsidentschaft ist so ambivalent, weil er es ernsthaft versucht hat.
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