Angelesen, weggelegt. Angelesen, weggelegt. Seit Jahren verbindet mich mit Neil Postman vor allem ein gepflegtes Desinteresse.
Das sonderbare an jeder Generation ist, dass sie sich nicht in der Lage sieht, ihre Glaubensmuster zu verlassen. Die deutschen Babyboomer, als Beispiel, haben im steten, durch sie selbst erzeugten, Wachstum gelernt, dass zwar nicht jeder nach oben kommt, es aber dennoch allen gut geht. So konnte der Neoliberalismus sich fröhlich durchsetzen, was auch meint, dass er die Gesellschaft durchsetzte. Und auch wenn das alles mittlerweile nicht mehr funktioniert, so wird das darauf basierende Handeln doch fortgesetzt. Erst wenn diese Generation abgelöst wurde, wird sich wirklich etwas verändern können.
Vielleicht erklärt sich somit auch die Notwendigkeit des Altwerdens und Sterbens. In jedem Fall aber hat Neil Postman hier ein Büchlein verfasst, das sehr symbolisch für all dies ist und wir können sehr viel daraus lernen. Wichtig ist zu wissen, dass das Buch 1985 veröffentlicht wurde.
Mitten in einer Zeit, in der das Fernsehen zum ultimativen Medium geworden schien. Das ist leider ist auch die Prämisse des Denkansatzes hinter dem Buch. Die Menschen konsumieren nur noch das, was im Fernsehen läuft und dies prägt ihr Denken und Tun. Da das Fernsehen alles im Sinne der Unterhaltung strukturiert, verändert sich die Weltwahrnehmung der Bürger dergestalt, dass die Welt nur noch Unterhaltung ist. Politik wird ebenso zur Unterhaltung wie die Katastrophe und der Krieg. Alles ist fluide und miteinander verbunden, sodass das Individuum nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Fiktion unterscheiden kann. Ohnehin gewinnen schon lange nicht mehr die besten ihrer Art, sondern die Unterhaltsamsten.
30 Jahre später, aber vermutlich auch schon seinerzeit, wirkt diese Diagnose nicht nur einseitig, sondern vor allem ziemlich platt. Ihr Problem in der Gegenwart ist jedoch, dass manch deutsches „Crack der Digitalisierung“ dieses Buch wie eine Bibel vor sich herträgt.
„Wir amüsieren uns zu Tode!“
Es ist ja auch eine zu schöne Formel. Postman versucht sich gegen Kritik dadurch zu immunisieren, dass er sie vorwegnimmt, also erwähnt, aber abtut. Er begründet dies nicht weiter, sondern behauptet einfach, dass dieses Argument nicht gilt. Solche Argumentationsmuster kennen wir heutzutage von diversen Internetphilosophen1. Ein Beispiel hierzu wäre die Feststellung, dass so viel gedruckt wird wie niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Was ein klarer Hinweis darauf ist, dass die Menschen sich auch abseits des Fernsehens informieren. Doch das gilt nicht, weil das Fernsehen das dominante Medium ist. Abseits dessen wirkt nichts, so die Aussage hinter dem „Argument“.
Damit die Argumentation zumindest in sich stimmig ist, stellt Postman dem Fernsehen die Vergangenheit gegenüber, in der die Menschen in den USA nur Bücher und Zeitungen hatten. Zwar kamen dann auch Boulevardzeitungen auf, aber deren Aufkommen fiel mit der Verbreitung der Telegrafie zusammen. Man ahnt es, das eigentliche Übel ist die Digitalisierung. Doch damals, als sie noch nicht da war, haben sich alle Menschen viel besser informiert und waren auch in der Lage stundenlangen Diskussionen zuzuhören. Okay, es gab dabei Spiel, Spaß, Essen und viele Pausen. Aber trotzdem!
Nun hat Postman natürlich nicht Unrecht, wenn er behauptet, dass ein weit verbreitetes Medium und seine Darstellungsweise sehr stark die öffentliche Debatte prägt. Nur kommt hinzu, dass es vor allem die öffentliche Debatte prägt, die wir durch dieses Medium wahrnehmen. Man nennt das heute Filterbubble.
Der Mensch selbst ist aber nicht nur das, was er über ein Medium wahrnimmt. Ebensowenig ist er nur das, was er im Internet konsumiert. Der Mensch hat soziale Kontakte mit denen er diskutiert, was er sah oder las. Der Mensch hatte damals viel mehr gedruckte Zeitungen, die er auch wirklich las und die nicht alle boulevardesk waren.
Ein Blick in die Gegenwart offenbart uns, dass das Fernsehen tatsächlich zu vielem nicht taugt. Politische Debatten kann es nur schlecht darstellen. Nachrichten sind etwas stark Verkürztes. Heruntergebrochen auf einen Kern, der für viele Menschen reicht aber anderen lediglich als Anreiz für eigene Recherchen bietet. Also Aktivität und Wissbegierde hervorruft. Gute Serien sind heutzutage wie ein guter Roman und bieten suggestiven Tiefgang.
Daneben liest der Mensch, er diskutiert. Seit dem Aufkommen des Internets erleben wir zudem eine Formatvielfalt, die weit über das hinausgeht, was seinerzeit bekannt war. Und es ist nicht nur Amüsement, das die Menschen treibt. Sie schauen auch ernsthafte Dokumentationen und Hintergrundberichte. Wie anders ließe sich der Erfolg von Vice erklären?
Vieles davon war 1985 bekannt, manches nicht. Das eigentliche Problem des Buches ist, dass Postman eine eindimensionale These nimmt, sie mit Huxley verbindet und sich selbst damit auf den Kopf und nicht, wie üblich, auf die Schulter des Titanen stellt. Er selbst ist mehr Orwell, dessen Welt abgeschottet und nicht Diskursfähig in dem Sinne ist, dass jeder Diskurs nur zu einem Ergebnis führen darf.
Neil Postman, meine Damen und Herren. Es ist erschreckend, wie platt und zugleich erfolgreich Dystopien sein können. Zumal dann, wenn sie sich die entscheidende Frage ersparen: Was ist schlimm am Sein?
Erschienen bei Fischer. Übersetzt von Reinhard Kaiser.
- Internetphilosophen finden Postman meist gut, nicht aber den apokalyptischen Feuilletonisten, der ihm in der Gegenwart entsprechen würde. Das sollte aufhorchen lassen. ↩
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