„Lebst du noch?“ Das war die häufigste Frage während der Finanzkrise. Ein Akt der Sensationsgier, gespickt mit gespielter Zuneigung. Derweil fielen die Kurse an den Börsen weltweit in den Keller und die vornehme Blässe des Finanz-Nerds wandelte sich gen Kalk.
Wohlig schaudernd folgen in diesen Momenten die Augen dem herunter ratternden News-Ticker. Panik und Untergangsfantasien der anderen kanalisieren sich in einem Wust aus Notizen und Zahlen, unterlegt mit Gefühlen, die zur Oberfläche drängen und mit allem unterdrückt werden, was die Psyche zur Verfügung stellt . Einzig dem Ziel unterworfen, selbst auf der richtigen Seite zu stehen, nicht ein anonymes Opfer einer anonymen Masse namens Markt zu werden.
Mit der Zeit verflüchtigten sich die Fragen nach dem Wohlbefinden und gingen in Urlaubsmeldungen über. Urlaub, so nennt es sich, wenn die Kohle verzockt ist. Wer Urlaub hat ist weg. Nichts Sagen, nichts Fragen.
Vergangenheit. Im Heute ist die Urlaubszeit vorbei und die Panik der Zuneigung zu Merkel gewichen. Mutti gibt uns die Liebe, die wir brauchen. Madame Non gibt uns Geld.
Leider nicht direkt. Direkt besorgt wird das Geld nur den Systemrelevanten: Banken, Euro-Staaten oder schwächelnden Unternehmen. Alle anderen müssen etwas dafür tun, sie müssen Dinge verstehen. Elite, das bedeutet nicht mehr nachdenken zu müssen.
Die Szene ist skurril. Kohls Mädchen schneidet sich die Pulsadern auf und springt in das Becken der Alpha-Haie um dort exklusiv und für die minderwertigen Haie gut sichtbar, auszubluten. Das ist ungefähr so intelligent wie das Verhalten von Aktionären.
Diese lieben Geld, aber nicht die Unternehmen, in die sie investieren. Ihre Liebe geht soweit, dass sie den Unternehmen jährlich Geld wegnehmen. Dividende schimpft sich dieses Aussaugen der Firmenkasse. Als Begründung schwadronieren sie dabei gerne über „eine Form der Verzinsungen“. Die Verzinsung kostet zwar Steuern, aber man hat was in der Hand. Deswegen müssen die Unternehmen nach der Zahlung mehr Wert sein als vorher. Logisch, hat doch jeder weniger als zuvor.
Ähnlich geschlachtet werden die europäischen Schweine. Geld leihen dürfen sie sich überall, aber nur zu anständigen Zinsen, nicht unter 5 Prozent und bestenfalls über 15%. Es existieren keine Verbraucher, die sich einen Kredit für 1% bei der europäischen Zentralbank erschleichen können. Nur europäische Staaten, die bei Zinsen über 7,5% einen Rettungsschirm brauchen.
7,5% ist die Schwelle des Schmerzes bei Staaten. Ein lauter Schrei durchfährt unser Europa, wenn sie überschritten wird und sofort schließt sich Kasis liebevolle Umarmung um die Betroffenen. Wie immer, wenn der Akt ihrer Zuneigung nur überzeugend genug gefordert wird. Entscheidend ist dabei nicht die Größe des Schmerzes, auf die richtige Vermittlungstechnik kommt es an.
Eine Erkenntnis, die sich beim Mob bisher kaum durchsetzte, weshalb die erzkonservativen Cleverle aus Schwaben die Vorreiterrolle übernehmen konnten. Bei den Stuttgarter Bahnhofskrawallen mussten sie nur ein paar Schülergruppen verprügeln lassen und schon lenkte die Landesregierung ein. Der Heilige Geißler schwebte herab, stellte ein paar Fragen in bester Columbo-Manier und verkündete den gefeierten Kompromiss: Dass Stuttgart 21 nicht nur weiter gebaut werde, sondern vor allem noch mehr gebaut werden muss, noch mehr Geld ausgegeben wird und nun gefälligst alle glücklich zu sein haben. Und so wurde es Licht, ganz in Angies Sinne.
Das sind Momente, die auch 3.500 Arbeitslose beflügeln und auf die Straße treiben. Friedlich marschierten sie durch Oldenburg und pressten unlustige Videos ihres Tuns in die Tube. Zur Erlangung teflonischer Liebe war das jedoch nicht genug.
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